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In der Regel strahlen wir im Kreis, wenn wir aus Gesprächen mit Hamburger Sportler:innen kommen. Diese Woche haben wir dabei den Vogel abgeschossen: Wir trafen Neele Ludwig (32), sie ist Kinderkrankenschwester und sie bereitet sich auf Paris 2024 vor

Neele Ludwig läuft den Ostseeman Parasport

Neele ist die Königin der Zuversicht, des Muts, der Motivation und dermaßen ein Beispiel für „Nützt ja nichts – das Leben geht weiter“, wir können uns drei Scheiben von ihr abschneiden, Minimum, alle. Sie kommt aus einer (Leistungs-)Sportfamilie, ist schon immer Schwimmerin, sagt: „Wasser bin ich.“ Anfang 2019, beim Festival der Turnkunst, wird ihr schwarz vor Augen.

Drei Tage später wacht sie auf – und ist halbseitig spastisch gelähmt. Das Schicksal, die Sau, hat zugeschlagen. Vier Wochen später fährt Neele, sie ist nämlich auch Triathlon-Trainerin, mit ihrer Mannschaft ins Trainingslager. OK, sie hat ihre Sprache verloren, und mit den körperlichen Einschränkungen kann man sich in der kurzen Zeit eigentlich nicht zurechtfinden, manche nie. Aber Neele steigt, unterstützt vom gesamten Umfeld, schon in diesem Trainingslager ins Wasser und fängt wieder an zu schwimmen. Mit nur einem Bein, nur einem Arm. „So ist das doch im Sport, die Umstände ändern sich, mach das Beste draus.“

Was für Umstände: Die Leitung von ihrem Hirn zu den Muskeln einer Körperhälfte funktioniert nicht mehr. Sie beschreibt die Situation, dass ein über GPS und Bluetooth gesteuerter Muskelschrittmacher räumlich und zeitlich erkennt, ob und welche Schritte sie machen kann, als spräche sie von der Behandlung einer Man-mag-es-kaum-sagen-Prellung. „Ich kann bei meinem rechten Bein Laufen auslösen“, sagt sie sachlich. Der Muskel wird durch Stromimpulse aktiviert. „Diese Technik ist sehr aufwendig, extrem teuer, und wurde natürlich für den Hausgebrauch entwickelt“, erklärt sie. Nur eben nicht für Super-Neele, die sich von ihrer Idee, beim Ostseeman in der Langdistanz anzutreten, nicht abbringen ließ und das mit einer sehr kurzen Vorbereitung von 6 Monaten tatsächlich geklappt. hat.

Neele Ludwig Parasportlerin beim Schwimmen
„Im Wasser kann ich alles“, sagt Neele, sie hat 4- bis 6-mal pro Woche Schwimmtraining.

„Bei meinem Energieverbrauch muss der Akku jede Nacht aufladen, und ich noch zusätzlich mittags 2 Stunden“, erklärt sie, immer lächelnd, immer. „So ein Marathon ist eben kein Normalbetrieb“, grinst sie. Und wenn sie schnell wieder im Becken war, „im Wasser kann ich alles“, performte sie offensichtlich so gut, dass die Trainer ihr den Triathlon zutrauten. Und sie sich vor allen Dingen auch; mit einem Arm, auf einem Bein, startet sie in der Landesliga bei den Tri-Bandits der TSG Bergedorf in der offenen Klasse. „Im Radfahren werde ich immer ganz nach hinten durchgereicht“, sagt sie unumwunden, „da kann ich nicht so viel.“ Dafür legt sie als Schwimmerin zu Beginn ordentlich vor, und auch beim Laufen, der dritten Disziplin, kommt sie zurück. „Radfahren ist die größte Herausforderung“, sagt Neele. „Mit einem Bein treten, der linke Arm fixiert, das ist hinderlich.“ Ihr Orthopädietechniker Björn Barton, er ist ein Orthesen-Gott, hilft, wie und wo er kann, immer wieder auf Rechnung seines Arbeitgebers, den wir hier nennen würden, bis es ihm schwindelig wird. „Er baut auch meine Orthesen fürs Kiten“, sagt sie beiläufig. Ist klar, Neele. „Es gibt keine Grenzen“, sagt sie und zählt uns gefühlt aus, weil wir kurz stutzten.


Ihren ersten Paratriathlon absolvierte sie letztes Jahr in Swansea, sie wurde auf Anhieb Vierte. Kann man lassen. Ihr erstes Para-Event, „sehr familiär“. Zwar findet sie es total großartig, dass die Deutsche Triathlon-Union keinen Unterschied macht zwischen Para und Nicht-Para, die Tatsache, mit anderen Menschen mit Einschränkungen zu battlen, hat aber ihren Reiz. „Zum einen hatte mein Leistungsvermögen eine richtig neue, natürlich bessere Dimension, zum anderen ist die Zusammengehörigkeit unter den Athlet:innen unbeschreiblich groß.“ Sie grinst: „Jede:r hat irgendwas.“ Das stimmt. „Deswegen liebe ich es, wenn wir alle zusammen Sport treiben“, sagt sie zu Recht, einerseits, für die Para-Olympischen Spiele macht aber natürlich ein Start in ihrer Klasse Sinn. „Der Verband hat mich regelrecht bearbeitet“, das war erst letztes Jahr. Nun so, als aktuell Weltranglisten-7., die Top 10 qualifizieren sich für Paris, hängt sie sich voll rein, trainiert ca. 14-mal die Woche: 4–6-mal Schwimmen, 4–5-mal Laufen, 2-mal Radfahren.

Neele Ludwig Hamburgerin Para-Sport beim Radfahren
„Im Radfahren kann ich nicht so viel“, behauptet sie – das können wir mal gar nicht glauben.

Sie nimmt dabei einen riesen Aufwand in Kauf: die etlichen Trainingseinheiten, die Vielfliegerei zu den internationalen Triathlon-Events, plus Betreuer, Flüge, Hotels, ein nicht unerhebliches Gepäck inkl. Fahrrad-Koffer, das läppert sich, logistisch, aber auch finanziell. Das stemmt sie selber, „ich arbeite doch, das bezahle ich; der Verband zahlt die Startgebühr, die TSG unterstützt mich nach ihren Möglichkeiten“, finden wir beeindruckend, andere Olympia-Athlet:innen sind bei dem Pensum längst Profis.

Neele Ludwig mit Teamkollegen beim Training Parasport
Beim Para-Weltcup in Alhandra (Portugal) belegte Neele in der Klasse PTS2 Rang zwei. Daumen hoch!

Neele bleibt entspannt. Ende Mai ist in Bayern die DM, Anfang Juni die EM in Madrid, dann ein paar Weltcups, im September die WM, ein straffes Programm. „Ich muss nur gesund bleiben“, sagt sie, die, die dann on top vor zwei Jahren eine Brustkrebsdiagnose hatte, und wir schämen uns ob unserer Halsschmerzen. „Man muss immer probieren, alles hinzukriegen“, sagt sie. „Mit ‚das geht nicht’ tue ich mich schwer“, was offensichtlich ist. Und wir merken gar nicht, dass sie kaum was hört, sie liest von den Lippen. „Meine Sprache war nach 2019 völlig weg, da habe ich hart dran gearbeitet, mein Gehör verabschiedet sich aber langsam komplett.“

Auch wild, „ich kann eine Bewegung zig-mal richtig ausführen, beim zig-und-einsten klappt es dann auf einmal gar nicht mehr“, was ihre Challenge ist, sie aber immer wieder nicht bremst. „Dafür trainier ich ja“, sagt sie, ist klar. „Ich habe viele Helfer um mich herum, die aber am besten nur helfen, wenn ich sie darum bitte. Sie sind immer für mich da, ein großes Glück“, aber unsere Vermutung, sie bittet selten. Neele grinst. „Es gibt so viele, denen es schlechter geht als mir“, sagt sie, weil sie auch als Kinderkrankenschwester viel Kummer erlebt, „deswegen nehme ich meine ständigen Schmerzen auch nicht an.“ Man muss sich dann auf die schönen Dinge des Lebens konzentrieren, findet sie. Das sollten wir alle immer wieder und öfter tun – und Neele feiern. Sie wird das schaffen, ganz sicher.

Copyright Fotos: privat

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