Neun Monate lang haben wir fünf Hamburger Olympioniken auf ihrem Weg begleitet. In der letzten Folge lest ihr, was sie in Paris erlebt haben.
Aus dem Grinsen nicht mehr heraus kommen unsere Beachvolleyball-Maschinen und Gewinner der olympischen Silbermedaille, Clemens Wickler (29) und Nils Ehlers (30) vom Eimsbütteler TV. Die beiden Füchse sind nach Feierei im Deutschen Haus mit dem Partyzug („Wir waren total platt“) nach Köln zum Empfang der Olympioniken gereist. Um dann postwendend in die Niederlande zu fahren, weil da die Europameisterschaften anstanden. Kann man machen.
Erst recht, wenn man auch da Vize-Europameister wird. „Silber ist unsere Farbe“, sagt Clemens lachend, man könnte meinen, er ist wirklich kaputt. „Das waren sehr anstrengende, aber unglaublich schöne Wochen“, bestätigt er. Nach dem EM-Finale waren sie auf den letzten beiden Sitzen mit dem letzten Flieger aus Amsterdam gekommen. Und zwar nicht nur, weil sie auch mal wieder in ihren eigenen Betten schlafen, sondern weil sie auch beim Elite16 am Rothenbaum antreten wollten. Umso bitterer, dass Nils im ersten Gruppenspiel böse umknickte und mit schwerer Bänderdehnung inklusive Kapselreizung nicht weiterspielen konnte. Auch der Start bei den Deutschen Meisterschaften in Timmendorf Anfang September stand dadurch infrage.
Paris hat die beiden sehr mitgenommen, emotional und sportlich sowieso. Bis auf das Finalspiel gegen die Schweden David Ahman und Jonatan Hellvig, das mit 0:2 (10:21, 13:21) hoch verloren ging, haben sie herausragend performt, ihre Gegner sehr konzentriert, schlichtweg teils an die Wand gespielt. „Im Finale waren wir nicht gut und die Schweden super“, sagt Nils kurz und knapp. „Silber gewonnen, das ist wichtig. Anfang der Saison hätten wir selber nicht dran geglaubt. Aber wir hatten uns konsequent das ganze Jahr über immer noch weiter verbessert. Was uns auszeichnet: Wir sind eine echte Einheit, wir mögen uns.“ Mehr Wir geht nicht. Das Schöne: Man sieht den beiden das an, bei Interviews, aber auch auf dem Platz. Ein Team eben.
Zwischen den Spielen gingen sie in Paris auch immer mal eigene Wege, Nils fuhr ins Olympische Dorf, genoss es sehr, auch die anderen Sportler zu erleben. „Wir haben mit Sascha Zverev zu Abend gegessen, er kannte uns“, sagt Clemens, der vor wichtigen Spielen immer einen großen gemischten Salat plus Penne Bollo isst. Fun Fact: Zu ihren Spielen reisten sie mit der U-Bahn. Endstation Silbermedaille, sozusagen. „Die ganze Euphorie in der Stadt hat man so absolut mitbekommen, das hat sich auf die Sportler übertragen“, berichtet NIls. „Und das macht stark, das ist die Kraft des Sports“ ergänzt Clemens. „Ganz Paris war so, wie man sich die Welt wünscht,“ schwärmt er und feiert den olympischen Geist. „Bei so vielen friedlichen, fröhlichen, emotionalen Menschen aus der ganzen Welt kann man es gar nicht verstehen, dass es woanders gleichzeitig Kriege gibt“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Olympia-Blues. Das Tal, das große Loch, in das viele Olympiastarter*innen immer wieder fallen, wenn sie zurück sind und alle Anspannung und Aufregung von ihnen abfällt, gegebenenfalls Frust dazu kommt, weil nicht das erreicht wurde, was erträumt war. Über das sprechen wir mit der lieben Vicky Huse aus dem Hockey-Nationalteam. Die, ziemlich erkältet, in ihrer Hamburger Wohnung sitzt und nachdenkt über diese wunderbare, krasse Olympia-Bubble, die sie in Paris erlebt hat.
„Wir waren fast die Ersten im Olympischen Dorf, und das war unfassbar“, sagt die Abwehrchefin vom Club an der Alster. „Die Mensa war am Anfang erst etwas zäh, alles war schnell alle, dann wurde nach Protesten einiger Teams aber schnell nachgebessert.“ Die Eröffnungsfeier auf der Seine, sie mit der Mannschaft am Start, „wir waren derbe happy, so viel Zustimmung!“ Zwei Tage später ging es in die toughe Gruppenphase, fünf Spiele in krasser Taktung, „aber wir sind das gewohnt“. Lief ja auch ordentlich, als Dritter der Gruppe A ging es ins Viertelfinale gegen Argentinien, den Zweiten der Gruppe B.
„Das Spiel war nicht unser bestes, aber wir waren auf Spur, und dann geben wir das in den letzten 90 Sekunden aus der Hand, sooo bitter“, fasst sie den krassen Spielverlauf mit Argentiniens 1:1-Ausgleich kurz vor Schluss und dem 0:2 im Penaltyschießen zusammen. „Knapper kann es nicht sein. Ich musste direkt in die Kabine, da haben wir zusammen und jede für sich getrauert. Unser Trainer Vali Altenburg hat noch was gesagt, aber wir waren voll im Off“. Abends waren Teile des Teams noch im Deutschen Haus. „Der Medal-Walk anderer hat ein bisschen weh getan, aber die Volleyballmänner waren auch da, die waren auch im Viertelfinale rausgeflogen. Das fängt einen schon auf. Sportler sind voll cool, die helfen sich dann da gegenseitig raus“, sagt sie.
„Im Moment überwiegt die Enttäuschung“, sagt sie sehr offen, „ich bin aber entspannt. Unser Ausscheiden war sehr bitter. Wir wollten mit was wiederkommen, und das haben wir nicht geschafft.“ Sie war nach ihrem Ausscheiden noch ein paar Tage mit ihren Eltern in Paris, hat sich ein bisschen was angeschaut. Nun ist Stille, kein Team um sich, Ruhe im Karton. Traurigkeit schwingt bei ihr auch mit, denn eine große Ära geht zu Ende. „Wahrscheinlich werden einige Spielerinnen aufhören. Dieses Team wird es so nie wieder geben“, sagt die 28-Jährige.
Auch für sie gilt: „Entscheidungen müssen getroffen werden. Wie geht es weiter? Ich muss zu Ärzten, mein Knie muss gecheckt werden, und dann beginnt Anfang September die Bundesliga-Saison schon wieder.“ Vorher noch ein Lehrgang bei der Bundeswehr, dem Hauptsponsor sozusagen, für sie als Sportsoldatin. Aber das Chillen zu Hause hat sie sich verdient. Und wir zollen ihr und ihren Kolleginnen größten Respekt. So weit muss man erstmal kommen.
Emotional deutlich anders unterwegs sind Marla Bergmann und Hanna Wille. Die Newcomerinnen auf der internationalen Welt- und Segelbühne im 49erFX haben sich mit einer großartigen Performance in die Weltspitze gesegelt. Immer noch müde, Hanna (23) schwer heiser („Ich habe zehn Tage durchgeschrien“), aber superhappy. „Es war ja so, dass niemand was von uns erwartet hat, wir konnten völlig unbeeindruckt lossegeln.
Nicht nach dem Motto, wir testen mal an, sondern mehr scheißegal, wir können nur gewinnen, also Angriff!“ Gut für sie: „Es war schwacher Wind, wir wussten, dass wir das können.“Und die Taktik haute hin. „Wir sind mega gut in die Regatta gestartet, waren immer konstant dabei, haben keine Punkte liegen lassen.“ So schafften es die beiden vom Mühlenberger Segel-Club sehr deutlich ins Medal-Race und belegten da einen wunderbaren sechsten Platz. Doch während alle sie feiern, sagen sie: „Die Medaille war für uns zum Greifen nah. Wir sind die Einzigen, die empfinden, dass auch mehr hätte drin sein können“. Wehmut? Nein, doch eher Genugtuung.
Vor ihren Starts waren die beiden Strahlemädels doch ziemlich nervös. „Wir waren ja in Marseille, in der deutschen Segel-Bubble, gar nicht abgelenkt. Wir haben vor dem Schlafengehen immer gesungen, zusammen, ganz laut, ‚A Million Dreams‘ zum Beispiel“, berichten sie, und wir kriegen fast Gänsehaut. Sportliches Fazit? „Auf Augenhöhe mit den ganz Großen der Szene, das macht uns schon sehr stolz, auch der Respekt der Gegnerinnen. Wir sollten genießen, hat uns eine sehr erfahrene englische Seglerin geraten, und das haben wir. Schade, dass alles vorbei ist.“ Nach dem letzten Rennen ging es nach Paris, „das war atemberaubend“, sagt Marla (22). „Wir waren total geflasht, von der Stadt, der Sauberkeit, den freundlichen Menschen, alle waren unglaublich lieb miteinander, so gar keine Hater.“ Sie haben Beachvolleyball geschaut, Turmspringen, Leichtathletik. Und abends Party im deutschen Haus gemacht, mit den Surfern, den Ruderern, den Leichtathleten wild gefeiert, ein paar Nächte, da darf man dann auch mal heiser sein. „Und die Abschlussfeier war unfassbar, allein das Einlaufen ins Stadion, Gänsehaut, unvergesslich!“
Da ihre Saison jetzt vorbei ist, haben sie genug Muße, in die Zukunft zu schauen. „Wir müssen jetzt planen, waren zuletzt so fokussiert aufs Segeln, jetzt muss balanciert werden: Ausbildung, Segeln und dergleichen.“ Aber das Ziel ist unstrittig: Los Angeles 2028, dann mit Medaille.
Etwas abgeklärter, aber durchaus zufrieden ist TOle (Tim Ole Naske), der Hamburger von der RG Hansa im deutschen Doppelvierer. Die sehr früh qualifizierte und nominierte Crew hatte in der Vorbereitung lange mit der Gesundheit von Schlagmann Moritz Wolff zu tun.
Das hieß regelmäßig mit Ersatz trainieren und auf Regatten in verschiedenen Kombinationen antreten zu müssen. Die Stimmung hätte durchaus besser sein können, unerschütterlich aber war die Laune von Tim Ole, der solche Themen zwar Trainern gegenüber anspricht, aber sie auch wegatmen kann.
In Originalbesetzung ging es nach Paris. Vorlauf und Zwischenlauf machten Bock auf das Finale, in dem sie Fünfte wurden. „Wir sind richtig gut losgekommen, konnten dann aber nach 1000 Metern nicht mehr mitgehen. Mehr war nicht drin“, resümiert TOle – und kann, absolut zu Recht, damit sehr gut leben. Extrem euphorisiert hat ihn die wahnsinnige Stimmung an der Strecke. „Wann rudert man sonst vor zigtausend jubelnden Menschen? Das war der Wahnsinn“, beschreibt er seine Emotionen. Der olympische Geist in Paris hat ihn total geflasht. Nach einer tollen Zeit im Olympischen Dorf („Ich fand die Betten und auch das Essen gar nicht schlimm“) genoss er noch ein paar Tage in Paris. „Zusammen mit Max Appel und Anton Finger aus dem Doppelvierer war ich beim Beachvolleyball und bei der Leichtathletik. Abends haben wir im Deutschen Haus unseren erfolgreichen fünften Platz ausgelassen gefeiert.“ Von Olympia-Blues ist bei TOle keine Spur. Nach der Rückkehr bekam er ein spannendes Thema für seine Jura-Hausarbeit, ist nun zunächst auf die Uni fokussiert, die Zukunft will ja auch abgesichert sein. Aber er schielt schon Richtung Los Angeles 2028. „Ich bin dann 32, bestes Alter. Ich versuche mit dem Verband zu klären, ob ich mich für mein Staatsexamen ´ne Weile rausnehmen kann, aber Los Angeles, stellt euch das bitte mal vor. Der Geist von Olympia in Venice Beach!“ Und dann zum Abschluss eine Medaille. Wir drücken schon jetzt die Daumen!
Was unsere Para-Triathletin Neele Ludwig bei den Paralympischen Spielen erlebt habt, die zum Redaktionsschluss gerade begannen, lest ihr im Oktober-Heft
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