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Viel Arbeit, wenig Geld und kaum Anerkennung: Leicht­athletik-Bundestrainer Sebastian Bayer erklärt, warum er oft zweifelt, aber den Beruf trotzdem liebt.

Manchmal kommen diese Momente, in denen Sebastian Bayer sich fragt, ob das alles noch in die richtige Richtung läuft. „In meiner Altersklasse gibt es in Deutschland vier, fünf Leute, die das machen können, was ich mache. In der freien Wirtschaft würden sich alle um uns reißen. Ich aber habe seit 2016 nicht einmal einen Inflationsausgleich erhalten, verdiene deutlich weniger als ein Grundschullehrer, bekomme nur befristete Arbeitsverträge und bin bei locker 50 Arbeitsstunden pro Woche rund 100 Tage im Jahr unterwegs. Da macht man sich für die weitere Zukunft seine Gedanken“, sagt der 38-Jährige.

Sebastian Bayer erstmals Trainer bei Olympia
Sebastian Bayer, oben mit seinem Trainerkollegen Julian Reus (Foto oben), war in Paris erstmals als Trainer bei Olympia.

Wer nun fürchtet, hier eine Klageschrift lesen zu müssen, kann aufatmen. Sebastian war in seiner aktiven Karriere ein Weltklasse-Weitspringer (Bestleistung 8,71 Meter), holte dreimal EM-Gold, 2008 in Peking und 2012 in London vertrat er Deutschland bei Olympischen Spielen. Nachdem er 2018 seine Karriere wegen anhaltender Knieprobleme beenden musste, übernahm der Diplom-Trainer beim HSV, wo er Ehrenmitglied ist, die Stelle des Leistungssport-Koordinators. Seit 2021 ist er am Bundesstützpunkt Mannheim als Bundestrainer angestellt. Er ist keiner, der über alles meckert, aber sehr wohl ein Mensch, der deutlich und offen seine Meinung sagt. Und als sporting ihn um eine Rückschau auf Olympia in Paris aus Trainersicht bat, sagte er sofort zu – unter der Prämisse, eine ehrliche Bestandsaufnahme machen zu können.

Als sich die deutschen 4×100-Meter-Sprintstaffeln Anfang Mai auf den Bahamas die Tickets für Paris sicherten, stand auch für Sebastian die Teilnahme fest. „Wir sind ein Viererteam, bestehend aus Julian Reus aus Hanau als Kopf des Teams, Alexander John aus Leipzig, David Corell aus Frankfurt und mir, die sich um die kurzen Sprint- und Hürdendisziplinen kümmern. Sobald zwei Staffeln qualifiziert sind, sind wir auch dabei“, erklärt er. Für die HSV-Staffelsprinter Owen Ansah (23) und Lucas Ansah-Peprah (24) und auch Weitspringer Simon Batz (21) bedeutete das, dass ihr Heimtrainer sie bei Olympia vor Ort begleiten würde – ein Privileg, das längst nicht alle Athlet*innen genießen.

Nachdem Sebastian bei den Sommerspielen 2021 in Tokio wegen der strengen Corona-Richtlinien nach dem Vorbereitungscamp aus Japan abreisen musste, erlebte er in Frankreich nun seine Trainerpremiere unter den fünf Ringen. Im Olympischen Dorf durfte er aus Kapazitätsgründen nicht übernachten, „aber wir hatten ein Hotel, von dem aus wir fünf Minuten Fußweg ins Dorf hatten. Logistisch war das perfekt“, sagt er. Die meiste Zeit verbringt ein Bundestrainer in der Leichtathletik sowieso auf dem Trainings- oder Aufwärmplatz. Was viele nicht wissen: Während es bei den technischen Disziplinen wie dem Weitsprung Coaching-Zonen gibt, von denen aus Trainer während des Wettkampfs mit ihren Schützlingen sprechen können, sind bei den Sprintwettbewerben nur Plätze unterm Stadiondach vorgesehen. „Deshalb habe ich zum Beispiel Owens Vorlauf über die 100 Meter auf einem Bildschirm am Aufwärmplatz gesehen.“

HSV-Sprinter Lucas Ansah-Peprah schaffte für Paris leider keine Einzelnorm,
HSV-Sprinter Lucas Ansah-Peprah schaffte für Paris leider keine Einzelnorm, bot aber in der 4×100-Meter-Staffel eine starke Leistung.

Die wichtigste Arbeit findet sowieso zwischen den Wettkämpfen statt; dann, wenn Sportler Zuspruch oder Motivation brauchen, wenn im Trainerteam und mit der als Bindeglied sehr wichtigen Teampsychologin beraten wird. Oder wenn mit dem Biomechaniker, der in der Heimat alle Bilder der Bewegungsabläufe analysiert, die notwendigen Anpassungen besprochen werden. „Im Prinzip sind wir 24/7 auf Abruf“, sagt der gebürtige Aachener, der dank seines Erfahrungsschatzes vor allem die mentale Belastung, die Olympische Spiele darstellen, einzuschätzen weiß. „Ich versuche zwar, meinen Leuten zu sagen, dass die 100 Meter bei Olympia auch nicht länger sind, aber natürlich merkst du schnell, dass das große Stadion und die gesteigerte Aufmerksamkeit etwas mit den jungen Menschen machen.“

Gerade die öffentliche Wahrnehmung habe sich im Vergleich zu seiner aktiven Zeit extrem verändert – zum Negativen, wie Sebastian findet. „Selbst 2012 in London spielten soziale Medien noch keine große Rolle. Heute scheint es vielen wichtiger zu sein, hübsche Videos zu machen als Höchstleistung zu bringen“, sagt er. Was auch daran liege, dass viele Sponsoren die Zahl der Follower deutlich besser honorierten als sportliche Titel. „Wenn man die Athleten wählen ließe zwischen einer Million Follower oder einem Olympiafinale, würden viele die Follower nehmen“, sagt der Vater zweier Kinder (4 und 8), der Social Media in erster Linie dazu nutzt, seinen Schützlingen zu folgen. „Wenn du denen eine Mail schreibst und dich nach dem Befinden erkundigst, dauert es manchmal viele Tage, bis eine Antwort kommt. Auf Instagram sehe ich jeden Tag, was sie so treiben“, sagt er.

HSV-Hürdensprinter Manuel Mordi fehlte in Paris eine Hundertstelsekunde zum Einzug ins Halbfinale
HSV-Hürdensprinter Manuel Mordi fehlte in Paris eine Hundertstelsekunde zum Einzug ins Halbfinale.

Entwicklungen sind das, die er bedenklich findet und auch aktiv zu verändern versucht, aber mit denen er sich arrangieren muss, um erfolgreich zu bleiben. Das Abschneiden „seiner“ Jungs in Paris sieht er differenziert. „Rang sechs von Simon im Weitsprung war stark. Lucas hat es in der Staffel sehr gut gemacht, ist mit den Topleuten auf Augenhöhe gewesen, auch wenn es knapp nicht fürs Finale gereicht hat. Owen hat im Vorlauf leider den Start verpatzt, das holst du gegen Stars wie Noah Lyles nicht mehr auf. Und in der Staffel hat er sich nach 50 Metern am Oberschenkel verletzt und ist trotzdem eine 9,4 gelaufen, davor ziehe ich den Hut, auch wenn er leider die Verletzung dadurch verschlimmert hat.“

Für den Zyklus bis zu den Spielen 2028 in Los Angeles möchte Sebastian Bayer gern weiter mit seiner Gruppe arbeiten, „die Jungs sind in vier Jahren in ihrer Primetime, da geht noch einiges“, sagt er. Gespräche über die Verlängerung des zum Jahresende auslaufenden Vertrags hat es noch nicht gegeben, sie sind aber für diesen Monat angekündigt. Gut wäre schon, wenn nicht, wie zuletzt nach dem Tokio-Zyklus geschehen, erst zwölf Tage vor Ultimo ein neuer Vertrag in der Post läge, ohne Gehaltsanpassung und ohne überhaupt verhandelt zu haben.

Dass sie – anders als die Sportler*innen, die für Olympiagold immerhin 20.000 Euro erhalten – maximal 15.000 Euro Prämie und auch keine Medaille bekommen, damit haben sich Trainer*innen im deutschen Leistungssport fast schon arrangiert. „Aber mehr Wertschätzung, seitens der Verbände in finanzieller Form und seitens der Athleten durch mehr Bewusstsein und Anerkennung dessen, was wir leisten, wäre schon schön.“

Wobei auch er zugeben muss, „dass ich erst jetzt verstehe, was Trainerinnen und Trainer leisten, damit sich die Sportler auf ihre Wettkämpfe konzentrieren können. Es ist Wahnsinn, was auch ich früher als selbstverständlich angesehen habe.“ Was ihn, allen Widrigkeiten zum Trotz, antreibt, auch weiterhin Bundestrainer zu bleiben? „Ich finde es wunderbar zu sehen, wohin man den menschlichen Körper entwickeln kann. Das ist extrem spannend und reizvoll.“ Und dann ist da noch die Liebe zum Sport, die so tief verwurzelt ist, dass das Herz einfach nicht anders kann.

Copyright Fotos: privat, Klaus Peters

Owen Ansah schied im Vorlauf über 100 Meter aus
Owen Ansah schied im Vorlauf über 100 Meter aus, überzeugte aber trotz einer Verletzung in der Staffel.
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