Nun gibt es schwere Kost, und auch wieder nicht, denn es geht jetzt um Bewegung, um Sport. Im Rahmen unserer Gesundheitsoffensive sporting präventiv und unserer super kollegialen, offenen Zusammenarbeit mit allen beteiligten Partnern haben wir uns für den November das Thema Krebs und Sport ausgewählt.
Nicht einfach, deswegen umso wichtiger. Und derweil früher bei Krebstherapien vornehmlich absolute Schonung angesagt war, hat sich das längst deutlich geändert. Sport, Bewegung im Allgemeinen, wird in den richtigen Dosen – und inzwischen durch diverse Studien auch belegt – deutlich gefordert. Und wir als Sportmagazin finden deswegen: da müssen wir jetzt mal ran. Wir sprechen dazu mit drei super kompetenten, extrem engagierten Menschen, die nur so dafür brennen, zu helfen, zu lindern, da zu sein. Für alle Menschen, die die schwere Last einer Krebsdiagnose tragen. Und auffällig bei unseren Recherchen: so richtig offen wird über Krebs nur sehr selten gesprochen. Wir machen das jetzt mal, und unsere Gesprächspartner*innen auch. Unsere Ausführungen können viele Aspekte natürlich leider nur anreißen, Euch sensibilisieren. Wichtig: Wir leben zum Glück in einem Land, in dem es immer, für jeden, Hilfe gibt an unterschiedlichsten Stellen, medizinisch, psychologisch. Keine Hemmungen, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen! (Kontaktmöglichkeiten, auch zu unseren drei Gesprächspartner*innen, siehe unten)
Miriam Wessels ist Sportwissenschaftlerin, Bewegungstherapeutin, Heilpraktikerin, Osteopathin, Yogalehrerin, Buchautorin und überhaupt, ist sie selbst Betroffene. Sie ist extrem engagiert und unmissverständlich: Bewegung ist ein Muss. Sowieso, und für krebskranke Menschen auch, fast erst recht. Overall, physisch betrachtet, ist nach ihrer Auffassung der Stoffwechsel, die Idee, den Körper in Wallung zu bringen, die Kern-Begründung. Natürlich nie ohne individuelle, medizinische, fachliche Begleitung und bitte nicht auf eigene Faust, gerade wenn es z.B. um Umfänge geht. Es geht darum, die Zellen, auch die Immunzellen, zu mobilisieren, sagt sie, „sie sind Reparaturzellen und all der Schrott, der bei ihrer Arbeit entsteht, muss raus, die kaputten Zellen, die kranken am besten gleich mit, im Grunde, egal wie und womit krank.
„Sport und Bewegung machen gegen die ganze Welt resistenter“, holt sie aus, um dann wieder konkret zu werden. „Stell Dir vor, was in einer Chemo passiert“, sagt sie, „da wird so viel kaputt gemacht, du kriegst Entzündungen noch und noch: Du kannst Dir die Haut abziehen, bekommst Magen-Darm-Entzündungen, Scheidenentzündungen, Entzündungen im Mund und so. Der verstärkte Stoffwechsel durch Bewegung kann dafür sorgen, dass der ganze Mist, der da im Körper vorbeikommt – das ist richtig gehend Gift- weggeräumt wird“. Sie empfiehlt: „2 × Joggen die Woche, 2 × Kraft, 2 × Yoga, das wäre perfekt“, „Pause zwischen den gleichen Belastungen, 2,5 Tage“. Achtung, sagt sie: „Immer mit Rücksicht auf die Alltagsbelastung“. Und Tanzen und Schwimmen tun es auch. Ihre Auffassung macht sie an den Faszien, dem Bindegewebe des Körpers, ihrem Spezialgebiet, fest. „Die sind wie Spuckefäden“ beschreibt sie sehr plastisch, sie durchziehen den ganzen Körper, umhüllen, stützen und schützen Muskeln, Organe, Knochen, Nerven. Sie weiter: „Wenn die durch zu wenig Bewegung/Stoffwechsel verkleben, Massagen helfen auch gegen ein solches Verkleben, können die Abwehr- und Reinigungszellen nicht mehr so gut potenzielle Angreifer erreichen und es können der Müll und die Stoffwechsel-Endprodukte nicht abtransportiert werden. Gesunde Zellen werden nicht mehr ausreichend ver- und entsorgt und suchen sich eine andere Art der Energiegewinnung und entarten“. Nicht gut.
In diesem Zusammenhang möchte sie allen Frauen auch von Bügel-BHs abraten, sie drücken ins Gewebe, in die Achselhöhlen und die Brust selbst, und verstopfen u.a. die so wichtigen Lymphbahnen. Das Gewebe verklebt. So oder so, um dem vorzubeugen, geht es um „die Öffnung des Körpers, egal bei welcher Krebsform, durch Sport, Bewegung, Gymnastik, Yoga, …“. Sie weiter:“ Auch bei Prostata- und Gebärmutterhalskrebs ist oft verklebtes Gewebe ein Teil der Ursache. Gerade hier ist z.B. Beckenbodengymnastik, -Training deswegen elementar wichtig.“ Wann wir das letzte Mal eine Brücke gemacht haben, fragt sie und wir versprechen, in der nächsten Ausgabe diverse Übungen für den Beckenboden zu liefern. Und auch sexuelle Aktivität ist in diesem Zusammenhang wichtig, kann helfen und zur Öffnung beitragen, so auch unterschiedliche Stellungen, sie wird sehr eindeutig und bestimmt.
Sport und Bewegung ist natürlich nicht der einzige Faktor, wenn es um verstopftes Gewebe geht. Falsche Ernährung, Nikotin, Alkohol kommen dazu. Andererseits gelten ihre Empfehlungen für mehr Bewegung natürlich auch als Schutz vor anderen Erkrankungen, zum Beispiel Schlaganfall, Herz-Kreislauf, Diabetes. Sie selbst hat direkt nach ihrer OP, Brustkrebs nach der Geburt ihres 7. Kindes, angefangen ihren Arm zu mobilisieren, „auch sehr wichtig für das Narbengewebe!“ Sie tanzt heute, macht Yoga, Faszien- und Kraft-Training, und hilft betroffenen Männern und Frauen wie und wo sie kann, sowohl als Faszientherapeutin als auch als Bewegerin.
Auch für Prof. Dr. med. Götz Welsch vom Athleticum, gerade dozierte er noch im Mammazentrum, das onkologische Therapiezentrum zur Früherkennung und Behandlung von Brustkrebs, ist auf alle Fälle die richtig dosierte Bewegung, ist Sport sehr hilfreich. „Und in der Prävention ist Sport sowieso gut gegen alle Krebserkrankungen“. Er sieht vor allen Dingen, aber auch bei den unterschiedlichsten Krebstherapien bis hin zur Chemo, die Reduktion von Nebenwirkungen. „Das Ganze ist wahnsinnig multi-faktoriell“, sagt er und zeigt auf, dass es für fast alle Bereiche Studien gibt, die den positiven Effekt von mehr Bewegung belegen. Er sieht neben der ganzen Stoffwechselthematik, („Mitochondrien antriggern, aufbauen macht in der Therapie total Sinn“), z.B. die Sauerstoff-Aufnahmekapazitäten verbessert, zusätzlich aber auch die ganzen psychologischen Aspekte, die mehr Bewegung und Sport mit sich bringen.
Man schläft besser, hat einen ausgefüllten Tag, hat mehr Appetit, alles gut für erfolgreichere Therapien. Auch er ist von Beckenbodentraining bei Prostata-Krebs, und auch einer damit einhergehenden Inkontinenz, bei Krebs im Unterleib allgemein, schwer überzeugt. „Hauptknackpunkt“ ist für ihn aber, dass natürlich nicht immer alles immer hilft, dass es unbedingt auf eine individuelle Steuerung und Dosierung ankommt, er sagt „zum Beispiel kommt es bei Hormonbehandlungen oftmals zu extremen Gelenkschmerzen oder zu absoluter Abgeschlagenheit, oftmals auch zum Fatigue-Syndrom“, da passt dann nicht jede Form von Sport und Bewegung.
„Mal werden Patienten übergewichtig, mal untergewichtig“, spannt er einen weiteren Bogen und sagt: Denen dann pauschal zu sagen ‚mach mal Sport‘ ist einfach, aber nicht immer sinnig.“ Da braucht es gezielte, individuelle Beratung und erfahrene Therapeuten. Gerade nach schweren Phasen, Verläufen, Operationen ist der Körper beinull „Da fängst du ganz weit vorn an“, sagt er. Da sprechen wir bei Bewegung dann von „Activities of Daily Living“, erklärt er. „Treppenlaufen, Klogehen, reicht dann ggf. zunächst. Und oftmals sprechen wir in solchen Phasen dann auch von polyneuropathischen Beschwerden, und es wird versucht, hier erstmal über eine Sturzprophylaxe neuronale Vernetzungen wieder aufzubauen, diese Patienten sind zunächst ziemlich weit vom Sport entfernt.
„Grundsätzlich ist viel Bewegung in Sachen Krebs und Sport“, erklärt er und berichtet von einer aktuellen Multi-Center-Studie, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, namens „BENITA“, für Patientinnen mit Eierstockkrebs. In dieser ist er für den Bewegungs-Teil zuständig, zum Effekt eines konsequenten Sportprogramms inkl. eines Physio-Termins pro Woche, Sportübungen und Beratung, bis hin zum Thema Ernährung – und das alles über eine App. Es geht voran.
Das sagt auch Simon Elmers. Er ist Sport- und Bewegungswissenschaftler und arbeitet mit zwei Kolleginnen am Universitären Cancer-Center (UCC) Hamburg im UKE. Hier entwickeln sie konkrete, sporttherapeutische Begleittherapien für Krebspatienten. Seit 2017 ist er am UKE. Und auch er, stellvertretend für sein UCC, kommentiert den lange vorherrschenden Irrglauben, Schonung sei für Krebspatienten richtiger und wichtiger als Bewegung. „Erst seit etwa 20 Jahren kennt man, auch durch diverse Studien belegt, den positiven Einfluss, auch auf den Verlauf der Krankheit“, sagt Simon. Er weiter: „Das Ganze ist demnach noch im Werden, und was genau für Wirkmechanismen dahinterstecken, in welcher Ausprägung, das kann man noch nicht valide sagen.“
Zumal es natürlich unterschiedlichste Krebsarten, die häufigsten sind Brust/Prostata, Darm und Lungenkrebs, mit sehr unterschiedlichen Verläufen gibt. Was man aber sagen kann, ist, so Simon Elmers, dass im Rahmen einer Primärprävention die Sterblichkeit um 15-30 % sinkt, im Rahmen einer Tertiärprävention um bis zu 50 % bei Brustkrebs, ca. 40 % bei Darmkrebs. Er zitiert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der zuletzt im Rahmen der nationalen Krebspräventionswoche gesagt hat: „Etwa 20–30 % aller Krebserkrankungen wären bei einer gesunden Lebensführung und regelmäßiger körperlicher Aktivität vermeidbar“.
Nun ist es aber eben entscheidend, was und in welchem Umfang hier Bewegung Ursache ist. Aktivsein überhaupt ist ja schon mehr als Schonung. Schon aktive Hausarbeit kann dazu gerechnet werden, erst recht, wenn man davor gar nichts im Haus gemacht hat. „Durch Bewegung scheint der Körper Krebszellen besser erkennen zu können“, beschreibt Simon seine Sicht. „Wenn Patienten zu uns kommen und fragen, was sie tun können, ist Sport und Bewegung ein Hebel von diversen, aber es gibt leider natürlich für gar nichts eine Garantie“. „Eine Sport- und Bewegungstherapie ist absolut ungefährlich“, sagt er. Er weiter: „In Einzelfällen sind wir im UCC in der Lage, sogar konkrete Bewegungsempfehlungen abzugeben“, erklärt er. Und weiter: „In diesen Fällen gibt es jeweils eine Evidenz“, das ist eine wissenschaftliche Belegbarkeit. Gut zu wissen, dass „die Anzahl genau solcher Studien im Themenfeld ‚Sport und Onkologie‘ rapide wächst“, sagt er.
Jeder jetzt sensibilisierte Mensch hat die Möglichkeit, sich an Simon und seine Kolleg*innen im Universitären Cancer Center zu wenden. Hier kann man Beratung und Weiterleitung zu qualitätsgesicherten Sport- und Bewegungstherapien für alle Krebspatienten (Kontakt siehe unten) erhalten, wobei es nicht für alle Krebsarten eine konkrete Empfehlung gibt.
Bei allen Krebsarten gehen wir aktuell von einer sinnvollen Zielgröße von 150-300 Minuten moderate Aktivität oder 75-150 Minuten intensiver Aktivität, sprich Sport, in der Woche aus. Für viele krankheits- und therapiebedingten Nebenwirkungen gibt es noch speziellere Empfehlungen, aber es gilt: Jede Bewegung ist besser als sich nicht zu bewegen.“, fügt er hinzu. Es gibt natürlich auch Obergrenzen, deswegen sind Trainingspläne, ist eine Periodisierung super sinnvoll, sagt er. „Unser Ziel ist es, Bewusstsein zu schärfen, vor/während/nach einer Krebserkrankung, wir wollen die Menschen motivieren, sich aktiv an Fachleute zu wenden und wünschen uns, dass die Krebspatienten während des Heilungsprozesses überhaupt erstmal in Bewegung kommen.“
Und wenn wir mit sporting präventiv Menschen mit diesem Artikel erreicht haben, freuen wir uns.
In Bedarfsfällen könnt Ihr Euch immer auch an unsere obigen Freunde und Partner wenden:
www.bewegung-bei-krebs.org/,
www.MiriamWessels.de
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